Burgtheater

Hanswurst und die "Wüsten"

Die Wiege des Burgtheaters stand - es ist kaum zu glauben - auf einer Waldlichtung bei Mannersdorf am Leithagebirge
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Zeitungsbericht "Wiener Zeitung" vom 30.5.2003

In Niederösterreich gab es an den kulturellen Schnittpunkten des Landes schon in den vergangenen Jahrhunderten ein
abwechslungsreiches und teils sehr qualitätvolles Theaterleben. Daß dieser Umstand kaum in das öffentliche Bewußtsein gedrungen ist, liegt leider an der heimischen Landes- und Lokalgeschichtsschreibung, deren auffällige Interesselosigkeit gegenüber allen historischen Erscheinungsformen des Theaters dessen Kenntnisnahme weitgehend verhindert hat. Ihre Autoren sind meist nur anmateriellen Themen interesssiert.So wird in einer reduktionistischen "Geschichte von unten" mit großem Fleiß immer wieder das Alltäglich-Provinzielle und Ewig-Gleiche beschrieben - das, was alle Gemeinden des Landes miteinander gemeinsam haben. Das Besondere, das Unverwechselbare und eigentlich Bezeichnende, wie es sich vornehmlich im kulturellen Bereich manifestiert, wird indes weitgehend ausgespart.

"DEUTSCHE KOMÖDIANTEN"
So fand 1737 in der Nähe des Karmeliterklosters "Die Wüste" im Leithagebirge bei Mannersdorf ein Ereignis von großer theaterhistorischer Tragweite statt. Die in Leipzig erscheinende "Chronologie des deutschen Theaters" des Gießener Universitätsprofessors Christian Schmid berichtet zunächst über die Gründung eines deutschen Theaters im russischen St. Petersburg. Vom Hoftheater des Zaren wandte sich Schmid dann unvermittelt nach Mannersdorf: Hier hatte, so schreibt er, die deutsche Theatergesellschaft zu Wien "das erstemahl die Ehre, vor der Kayserlichen Familie zu spielen".
Von Otto G. Schindler

Bedenkt man, wie wichtig, ja existenznotwendig in der damaligen Zeit ein guter Kontakt zum Hof für eine Schauspielergesellschaft gewesen sein muß, kann die Bedeutung dieser Einladung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Man könnte sogar soweit gehen, sie als die eigentliche Geburtsstunde des Wiener Burgtheaters anzusehen. Denn obwohl jene deutschen Schauspieler damals noch im "Komödienhaus nächst dem Kärntnertor" - also etwa an der Stelle der heutigen Staatsoper spielten, sind sie die eigentlichen Vorläufer des heutigen Burgtheaters. Dieses führt ja seinen Namen ("K.K. Hofburgtheater" steht noch heute über dem Eingang) nicht nur auf seine ursprüngliche Lage in der Wiener Hofburg zurück, sondern mehr noch auf seine bis 1918 währende Administration durch die Hoftheaterverwaltung, auf seinen Status als Hoftheater. Im Jahr 1776 - das gemeinhin als das "Gründungsjahr" des Burgtheaters bezeichnet wird - hat ihm Kaiser Josef II. lediglich den Status eines "Nationaltheaters" verliehen, wobei "national" im wesentlichen bedeutete, daß es in erster Linie dem deutschen Sprechtheater gewidmet sein sollte. Das für dieses Nationaltheater vorgesehene deutschsprachige Ensemble aber gab es in Wien schon seit langem: Es waren jene "Deutschlen Komödianten zu Wien", die in dem 1709 errichteten Theater am Kärntnertor spielten und die 1737 zum ersten mal eingeladen wurden, mit ihrem weithin gerühmten "Wienerischen Hanswurst" vor dem Hof ihrem späteren Dienstgeber - eine Probe ihres Könnens abzulegen

Die Villa

Hinsichtlich Zeitpunkt und Ort der Mannersdorfer Aufführung herrschte bisher völlige Ungewissheit, und auch heute ist der genaue Aufführungsort nicht leicht zu bestimmen. Die in Hofdingen sonst so gesprächige " Wiener Zeitung" geht auf diesen Besuch mit keinem Wort ein, und auch in den Hofannalen findet er keine Erwähnung. Lediglich in einer lateinischen Klosterchronik der " Wüste" St. Anna, also des 1783 aufgehobenen Klosters der Unbeschuhten Karmeliter zu Mannersdorf, findet sich eine kurze Notiz.
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Kaiserin Maria Theresia (1717 - 1780)

Ihr zufolge waren am 16. Juli 1737 Erzherzogin Maria Theresia und ihre jüngere Schwester Maria Anna in Begleitung der Gräfin Charlotte Fuchs nach Mannersdorf gefahren. Gräfin Fuchs, die damalige Inhaberin der Herrschaft Scharfeneck- Mannersdorf, war die Erzieherin und spätere Obersthofmeisterin Maria Theresias, und nicht zuletzt mit ihrer Hilfe war deren Hochzeit mit Franz Stefan von Lothringen zustande gekommen. Seit einigen Wochen waren die Jungvemählten aber getrennt.
maria-anna.jpg Maria Anna von Österreich (1738 – 1789)

Franz Stefan wollte seinem berühmten Großvater, dem Türkensieger Herzog Karl V. von Lothringen, nacheifern und war nach Serbien in den Krieg gegen die Türken gezogen. Um die sich nach dem Gatten verzehrende junge Mutter (sie hatte vor fünf Monaten ihre erste Tochter geboren) etwas zu zerstreuen war die Gräfin offenbar auf den Gedanken gekommen, für sie in ihrer Herrschaft Mannersdorf eine deutsche Komödie aufführen zu lassen.
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Maria Karolina von Fuchs-Mollard(1681 - 1754)

Nach einem Messebesuch in der Pfarrkirche und einem Mittagessen im Schloss erschienen die hohen Gäste um vier Uhr vor der äußeren Klosterpforte, wo sie der Pater Prior willkommen hieß. Nach einem kurzen Gebet in der Kapelle zum Hl. Leopold fuhr man weiter zu einer "villa", wo man "an einem überaus lieblichen Ort" unweit der Klostermauer einer "comoedia" beiwohnte. Was wir unter dieser "Villa" zu verstehen haben, ist schwer zu entscheiden. In Frage käme zunächst der Meierhof des Klosters, der auf zeitgenössischen Plänen lateinisch als " Villa" bezeichnet wird. Im Sachregister der Klosterchronik heißt es aber ausdrücklich, die Komödie wurde "hinten, jenseits unserer Wüste gespielt". Auch scheint es sich bei dieser " Villa" um ein Anwesen der Gräfin Fuchs gehandelt zu haben.
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Topographisch ist jene Stelle am wahrscheinlichsten, wo der Fährweg Mannersdorf-Scharfeneck, den offenbar auch die Wiener Theaterleute benützten, und der Weg aus der "Wüste" zusammentrafen. Im "Franziszeischen Kataster" von Mannersdorf werden hier für 1819 zwei "Hofstätten" mit Obstgärten ausgewiesen, die Mannersdorfer "Kleinhäuslern" gehörten. Diese Waldlichtung führt den Flurnamen "Hinter der Wüsten" - eine Benennung, die wörtlich der Beschreibung in der Klosterchronik entspricht. Hier könnte sich vormals ein Wirtschaftshof der nahegelegenen Burg Scharfeneck befunden haben; dadurch fände die Fuchsische " Villa", wie sie die Quelle erwähnt, eine Erklärung. Um sechs Uhr brach jedenfalls der hohe Besuch wieder auf, wurde vom Prior und seinen Religiosen an der Klosterpforte verabschiedet und begab sich über Mannersdorf zurück in das kaiserliche Schloß Favorita (das heutige Theresianum) nach Wien.
Theateraufführungen im Freien hat es in Mannersdorf schon im 17. Jahrhundert gegeben: 1681, zwei Jahre vor dem Türkensturm, ließ hier - vermutlich im Schloßgarten - die damalige Herrschaftseigentümerin Eleonora II., Gattin Kaiser Ferdinands III. und eine geborene Gonzaga aus Mantua, die italienische Pastoraloper "Achilles in Thessalien" aufführen. 1744 besuchte der Wiener Hof das benachbarte Schloss Trautmannsdorf, wo abermals von der Wiener "Komödiantenbanda" auf einem im Fasangarten errichteten Heckentheater eine "deutsche Comedie" aufgeführt wurde. Von Theatervorstellungen "im Wald" wird auch aus Sommerein berichtet, das mit seinem Schloss ebenfalls zur Mannersdorfer Herrschaft gehörte. Im September 1749 hatte dort die Gräfin Fuchs wieder Kaiserin Maria Theresia zu Gast; es wird berichtet, daß bei diesen Vorstellungen "von verschiedener Gattung Leuth" zusehen durften.
Von Theatervorstellungen im Schloss Mannersdorf ist auch in späterer Zeit noch die Rede, so 1755, als Schloss und Herrschaft bereits wieder dem Kaiser gehörten. Im Mannersdorfer Bad wurde ebenfalls Theater gespielt: 1783 bittet Johann Georg Wilhelm, der spätere Direktor der Stadttheater von Wiener Neustadt und Baden, "im Mannersdorfer Baad zensurierte Schauspiele und Opern" aufführen zu dürfen, was ihm am 21. Juni bewilligt wird. Während all diese Ereignisse aber aus dem kollektiven Gedächtnis geschwunden sind, blieb die Erinnerung an Maria Theresias Teilnahme an einer Mannersdorfer Weinlese im Jahr 1743 lebendig: Das Denkmal, das man bald darauf aus diesem Anlaß errichtet hat, steht bekanntlich noch heute.