A. A. Schmidl

Die Wüste.

( 9 Stunden.)

Mit diesem ominösen Namen wird eine der reizendsten Gegenden in der südöstlichen Umgebung von Wien bezeichnet, nämlich der nördliche Abhang des Leithagebirges, an welchem die Märkte Sumarein, Mannersdorf, Hof, Au und Loretto liegen. Am genußreichsten läßt sich diese Wanderung von Bruck ans bewerkstelligen, indem man dann von Au oder Loretto nach Eisenstadt geht. Der nächste und bequemste Weg führt über Himberg, nach Mannersdorf. — Von Himberg ist man in zwei Stunden in Ebergassing, unbedeutendes aber sehr altes Dorf, in anmuthiger Gegend an der großen Fischa, einst ein Eigenthum der berüchtigten Tonradl, jetzt des Baron von Schloißnigg. Das Schloß ist geräumig, enthält eine sehr alte gothische Kapelle, zum Heiligen Udalrich, und an dasselbe stößt ein großer Park, der zu den schöneren im Lande gehört, mit Treibhäusern und Fasanerie. In der Kapelle befindet sich der Grabstein von zwei Herren von Wald, aus dem 4ten Jahrhunderte, und der Leichenhof enthält die Gruft der Barone von Peschier. Bei dem Dorfe befindet sich eine Baumwollengarnmanufaktur und die Papierfabrik Frangensthal, ein besonderer Edelsitz. Sie wurde 1767 von Thom. von Trattnern neu erbaut, brannte 1825 nieder, und ist seit 1827 Eigenthum des Hauses Hippenmaier und Comp. Sie hat zwölf Gänge, acht Holländer und zwei privilegirte PapierErzeugungsMaschinen. Das rohe Material, im Betrage von 10,000 Zt., wird meist aus Ungarn bezogen. — Eine halbe Stunde östlich von Ebergassing liegt das sehr alte Dorf Wienerherberg an der Fischa Die altdeutsche Kirche enthalt das Grabmal des berüchtigten Rebellen Andreas Tonradl, und das Mausoleum der Familie von Trattnern. An der Fischa steht eine der größten Mühlen im Lande, von zehn Gängen. ..

Von Bruck nach Sumerein gelangt man über Sarasdorf in drei Stunden, sollte aber den kleineu Umweg über Trautmannsdorf nicht scheuen. Eben so weit hat man über den Kaisersteinbruch. Der Markt Sommarein (St. Marien) ist schlecht gebaut, aber sehr alt. Die MarienPfarrkirche ist ein schöner, gut erhaltener Bau von 1565. An der Mauer des die Kirche umgebenden Friedhofes ist das Grabmal des italienischen Steinmetz Alexius Payos von 1591, bemerkenswerth. Auf einem Hügel gegen den Wald steht man noch die Trümmer der ältesten Kirche, welche seit 1786 verfällt. , . ....

Am Leithagebirge sind hier nicht weniger als 3 Steinbrüche im Betriebe, der bedeutendste ist aber der schon in Ungarn befindliche KaiserSteinbruch. Das Leithagebirge besteht nämlich fast ganz aus einem mit Kalkerde gebundenen Sandsteine, der reich an Versteinerungen ist. Man mag von was immer einem Orte die Höhe ersteigen, so wird man durch schöne Fernsichten über

die Neustädter oder über die ungarische Ebene belohnt. Da außer Mannersdorf und Scharfenegg keiner der Orte am Fuße des Gebirges einen Besuch verdient, so ist es am lohnendsten, von dort aus mit einem kundigen Führer sich auf dem Gebirge zu halten. Namentlich im Frühsommer ist die Wanderung durch diese Laubwälder sehr reizend, die ein Lieblingsaufenthalt der Nachtigallen sind.

Eine Stunde braucht man von Sommarein nach Mannersdorf. Es ist ein ansehnlicher Markt von 268 H., 2300 E., ziemlich regelmäßig gebaut. Die Martinskirche ist neuerer Bauart, und enthält nichts Merkwürdiges, außer einigen Grabsteinen, deren zwei nicht mehr leserlich, einer aber vom Grafen Jos. von Martinez herrührt. Das Schloß enthält nur die Wohnungen der Beamten der kaiserlichen Familienherrschaft Scharfenegg zu Mannersdorf. Sehenswerth ist hier eine Fabrik leonischer Waaren mit Drahtzug, welche in dem ehmaligen Badhause etablirt ist. In demselben befindet sich auch eine jetzt entweihte Kapelle, über deren Schicksale ein Inschriftstein belehrt: »diese Kapelle wurde das erste Mal von einer Klosterfrau und ungrischen Prinzessin Namens Radegundis, zu unbekannten Zeiten, dann im Jahre 1340, wahrscheinlich nach erlittener Zerstörung, ohne Angabe, durch wen? zum zweiten Male, und endlich zum dritten Male, im Jahre 1604, von Herrn Quarient von Raal und dessen Gattin Brigitta, gebornen Fröhlich, erbaut. Unter dieser Kapelle entspringt eine reiche Mineralquelle, welche in früheren Zeiten häusig gebraucht wurde, deren Ruf jetzt aber so gesunken ist, daß das Badehaus in eine Fabrik umgewandelt wurde. Das Wasser ist im Winter sehr warm, im Sommer lau, klar, ohne Geschmack und Geruch. Schosulan schrieb eine Abhandlung über das Mannersdorfer Bad, 8. Wien 1783, und Dr. Crantz fand in zwei Pf. desselben . Grabsorbirende Erde, 10Gr. Selenit und 12 Gr. Bittersalz. — Die Fabrik beschäftigt gegen 60 Familien.

Mannersdorf ist berühmt durch die kaiserliche Schaferei, welche echt spanischer Abkunft ist. Jm Jahre 1801 kam ein Transport spanischer Thiers hierher, zur Emporbringung der inländischen Schafzucht. Seitdem wurde auf das sorgfältigste über der Reinhaltung gewacht, und so wurde denn auch 1817 ein Widder um 2800 ff. verkauft. Die Mannersdorfer Schäferei ist daher in jeder Hinsicht als eine Musteranstalt zu betrachten. Man findet hier sorgfältige Jmpfung, zweckmäßige Bezeichnung jedes einzelnen Stückes, und Klassifikation der Heerde. Von den Sprungwiddern wird eine vollständige Beschreibung verfaßt, nach Abstammung, Feinheit und Charakter der Wolle, welche von 24 Theilen des Körpers genommen wird. Nach dem Gewichte des gewaschenen Vließes, der Art des Fettschweifes, der Gestalt und Haut des Gerippes wird der Rang der Stammväter in Ordnungszahlen ausgedrückt. Die Musterwolle der Mütter wird von fünf Stellen genommen. Alle Vorzüge und Verbildungen werden notirt. Für das Gewicht des Vließes der Zuchtthiere bestehen eigene Abwagslisten, so wie eigeneSprung» und LämmerRegister. Schon 1810 wurde die sogenannte Thonwäsche versucht, aber erst 1831 ein geeigneter Thon entdeckt, so daß jetzt auch die Mannersdorfer Wäsche einen hohen Rang behauptet. Dieser Thon ist vielmehr ein Thonsilikat mit basisch kohlensaurem Kalke, und dieser Ätzkalk gibt den wollreinigenden Körper, in» dem er mit dem Fette Seife bildet, die durch das Was» ser dann wieder entfernt wird. Die Mannersdorf« Wäsche ist also eigentlich eine Kalkwäsche, und es ist zu erwarten, daß durch diese glückliche Entdeckung die Wollwäsche überhaupt eine neue Wendung nehmen werde. Bei Wannersdorf ist die eigentliche sogenannte

Wüste der Einsiedler.

Als nämlich die Kaiserin Eleonora von Mantua, Ferdinands II. Witwe, Mannersdorf als Leibgeding besaß, stiftete sie hier einen Konvent für unbeschuhte Karmeliter. Sie kam mitten im Winter hieher, und steckte selbst den Platz ab. Fredinand der III. baute die erste Einsiedelei: St. Anton von Padua in der Wüste, und legte den Grundstein zur Kirche; das Ganze ward mit einer Mauer umgeben. Später wurden noch mehre Einsiedeleien erbaut, z. B. von der ersten Gemahlin Ferdinands III., Maria Anna, von der Tochter Erzherzogs Leopold V., Maria Leopoldine, vom Bischofe Georg Draskowitz von Raab, vom Bischofe von Waitzen, Georg Pankratz, der jährlich die Fastenzeit hier zubrachte. Unter Kaiser Joseph wurde die Wüste aufgehoben, und die Einsiedler in Klöster eingetheilt. Indessen will man den Namen, der Wüste schon aus den ältesten Zeiten herleiten, damals nämlich, als der dakische König Burebistan mit den Skordiskern zu Cäsars Zeiten (58 Jahre vor Christi Geburt) das Land von der Raab bis an das cetische Gebirge durch einen schrecklichen Einfall zur Wüste verwandelte, und die dort gehausten Bojer in die Hochgebirge vertrieb. Dieser Strich, zumal die Strecke am Leithagebirge, wo es am hitzigsten hergegangen seyn dürfte, wurde von den römischen Schriftstellern deserta vel campi Bojorum, im Mittelalter aber, namentlich von
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Otto von Freisingen, ausdrücklich Wüste oder Leerfeld genannt. Die Lage der Wüste in Waldeinsamkeit ist sehr reizend, und man kann mit deren Besuch zugleich den Ausflug zur Ruine

                                                            Scharfenegg

verbinden. Am Fuße des Berges liegt das Jägerhaus, wo man Erfrischungen erhält, und bei dem zur Wüste einst gehörigen Häuschen vorbei, steigt man auf anmuthigem Waldpfade mäßig steil zur Ruine hinan. Der Alterthümler wird nicht befriedigt, denn wenige Mauertrümmer sind noch erhalten, selbst der Zugang ist beschwerlich. Merkwürdig ist die Ruine nur durch das üppige herrliche Epheu, das die Trümmer überzieht, und durch die schöne Fernsicht. Die ganze Bucht, welche die Neustädter Ebene in das Hochgebirge einschneidet, liegt vor dem Blicke, bis zum Wienerberge; ja man soll sogar den Stephansthurm erblicken (?). Die Geschichte der Burg bietet keine interessanten Momente. Sie gab der Herrschaft den Namen, welche, wie bereits erwähnt, im 17ten Jahrhunderte ein Leibgeding der Kaiserinnen bildete. Kaiser Leopold verkaufte sie an den FürstBischof von Würzburg, Freiherrn von Greiffenklau Vollraths,
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und von ihm erbte sie dessen Schwägerin, die Gräfin von Mollart, Maria Theresias Erzieherin. Kaiser Franz kaufte sie von ihren Töchtern, und 1797 wurde sie kaiserliches Familiengut.

Von Scharfenegg kann man gleich hinab nach dem Markte Hof, den man in drei Viertelstunden bequem erreicht. Er ist ohne Interesse, die Ruinen des alten Spitzhofes sind unbedeutend. Abermals drei Viertelstunden braucht man nach Au, einem kleinen sehr alten Markte. Von hier führt die Straße gerade nach Eisenstadt, das man in 2 St. erreicht, wenn man nicht lieber über Loretto und den Sonnberg nach Hornstein gehen will. Den Rückweg von Hof nach Wien kann man uber Seibersdorf, Unter-Waltersdorf und Ebreichsdorf nehmen, das man in drei Stunden erreicht ;

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